Logistik ist eine Männerdomäne – wegen der Muskelkraft. Solche Vorurteile halten viele Frauen davon ab, in dieses spannende Arbeitsfeld einzusteigen. Die Branche trotzt diesen Stereotypen und will mehr weibliche Fach- und Führungskräfte gewinnen. Was erwarten Frauen in der Logistik und welche Chancen bringt Diversität? Ein Rück- und Ausblick auf Basis einer Studie aus dem Jahr 2019.
Der Mangel an Frauen in der Logistik liegt nicht an fehlender Qualifikation. Es ist vielmehr eine Frage der Unternehmenskultur und der Vorbilder. 2019 zieht die Bundesvereinigung Logistik (BVL) dieses Fazit im Rahmen einer Studie und vertiefte auf der transport logistic in München die Diskussion in der Session „Männerdomäne?! Chancen für und mit Frauen in der Logistik“. 2023 stellen erfolgreiche Frauen im Forum „Liebe Logistiker*innen: Wir müssen reden“ das Thema erneut zur Diskussion: Was hat die Logistik-Branche von mehr Logistikerinnen? Und was haben Frauen davon, Logistikerin zu werden?
Die 1978 gegründete BVL mit weltweit rund 10.000 Mitgliedern aus Industrie, Handel, Dienstleistung und Wissenschaft gilt als Plattform für den Gedankenaustausch von Führungskräften in Logistik und Supply-Chain-Management. Mit Silke Fischer steht erstmals eine Frau an der Spitze der Geschäftsführung. Prof. Michael ten Hompel vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML übergibt den Staffelstab an Prof. Alice Kirchheim. Die Logistik braucht mehr Frauen, die Karrierewege in der Logistik aufzeigen und Vorbild für andere sein können.
Weltweit ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Mittelstand nach Daten des Grant Thornton International Business Report in zehn Jahren von 19,4 Prozent (2004) auf 33,5 Prozent gestiegen. Allerdings dauert es bei dieser Wachstumsrate noch fast drei Jahrzehnte, bis Parität erreicht ist.
Im Jahr 2022 waren rund 46,3 Prozent aller Erwerbstätigen in Europa Frauen. In den Führungsetagen Europas sind sie mit durchschnittlich 35 Prozent jedoch noch deutlich unterrepräsentiert.
Deutschland liegt mit 28,9 Prozent im unteren Drittel. Nur knapp jeder vierte Vorstandsposten in DAX-Unternehmen ist mit einer Frau besetzt.
Und last but not least werden Frauen und Männer immer noch unterschiedlich bezahlt. Die Gender Pay Gap bei vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien beträgt immer noch 6 Prozent.
1,5 Millionen Menschen arbeiten im Bereich Transport und Logistik (Stand Juni 2023). Mit 23 Prozent ist nur knapp jede vierte Stelle mit einer Frau besetzt. Und nur ((XX)) Prozent der Top-100-Logistikunternehmen beschäftigen Frauen im Management.
Der Frauenanteil bei den Verkehrsträgern Schiene und Straße liegt mit jeweils 12 % hinter der Luftfracht mit 21 % und dem Verkehrsträger Wasser mit 27 % zurück. Die höchsten Frauenanteile weisen die logistiknahen Dienstleister (23 %) sowie die Lagerei (30 %) und die KEP-Dienste (32 %) auf.
Während der Wirtschaftszweig Logistik weiterwächst, bietet insbesondere die zunehmende Integration hochwertiger Logistikdienstleistungen in die Wertschöpfungskette von Industrie und Handel vielfältige Berufschancen für Frauen und Männer.
Gerade Kooperation entlang der Logistikketten braucht Eigenschaften und Fähigkeiten, die eher Frauen zugeschrieben werden. Flexibilität, Serviceorientierung, Zielorientierung, Teamfähigkeit, Effektivität, Entscheidungs- und Konfliktfähigkeit sind bei vielen Beteiligten ideale Qualitäten für die Übernahme strategischer Aufgaben.
Diversifizierung zählt laut Fraunhofer Institut zu den acht Megatrends, die die Logistik in Zukunft beschäftigen werden. Insbesondere der Frauenanteil in immer heterogeneren Belegschaften steigt weiter. Insgesamt muss das kein Nachteil sein, denn Vielfalt wirkt sich laut zahlreicher Studien positiv auf den Unternehmenserfolg aus.
In der öffentlichen Wahrnehmung wird Logistik häufig mit Muskelkraft und 24/7 Einsätzen assoziiert, weshalb sie in den Berufswünschen von Frauen weit abgeschlagen ist. Solche und weitere Stereotypen hat die BVL-Studie bereits 2019 aufgedeckt. Fünf Jahre später ist die Logistik immer noch eine Männerdomäne. Kaum jemand hinterfragte, warum so wenige Frauen Führungspositionen besetzen, und wenn, dann wurde dies mit mangelnder Durchsetzungskraft oder geringerem Selbstbewusstsein begründet. Auf die Frage, was die Geschlechtervielfalt erhöhen könnte, stand die Vereinbarkeit von Beruf und Familie an erster Stelle. Frauen und Männer sollten die Möglichkeit haben, die Arbeitsbedingungen ihrer Lebensphase anzupassen.
Kraft allein ist für den Mangel an Frauen heute keine Erklärung mehr. Selbst im gewerblichen Bereich verändert sich die Arbeitswelt. Die Digitalisierung und Automatisierung erleichtern Abläufe und dadurch auch Tätigkeiten in der Logistik. Darüber hinaus ist die Logistikbranche offener geworden und bietet weiblichen Fach- und Führungskräften viele Karrieremöglichkeiten.
Trotz aller Initiativen zur Förderung von Frauen sind Frauen noch nicht ausreichend in Fach- und Führungspositionen vertreten, obwohl Unternehmen nachweislich davon profitieren. Frauen setzen in Unternehmen neue Impulse und tragen zur Vielfalt der Perspektiven bei. Gerade in einer Welt, die immer komplexer, globaler und schneller wird, sind Fähigkeiten für Miteinander in Kooperationen und strategischen Allianzen immer wichtiger.
Unternehmen profitieren von weiblichen Stärken:
Der Frauenanteil in Ausbildungsberufen und Logistikstudiengängen steigt und auch die DAV in Bremen ist stolz auf ihren starken Geschlechtermix. Ein Drittel ihrer Studierenden ist weiblich. Tendenz steigend. In der Qualifikation für Berufe in der Logistik stehen Frauen den Männern in nichts nach. Je mehr Frauen in die Männerdomäne Logistik eindringen, desto attraktiver wird das Arbeitsfeld für andere Frauen.
Noch sind die Wege in die Logistikwelt zu versteckt. Der Berufswunsch „Logistikerin“ ist selten. Kein Wunder. Es fehlt an Vorbildern. Frauen, die erfolgreich in der Logistik tätig sind, spornen andere an, frei nach dem Motto „If she can see it, she can be it“. Aus dieser Idee heraus rufen Initiativen Auszeichnungen und Netzwerke ins Leben, die Karrierewege sichtbar machen. Zusätzlich gibt es einige Veränderungen in den Organisationen und Unternehmen der Logistikbranche, die den Einstieg für Frauen zunehmend attraktiver machen.
Nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels stellen sich die Logistikunternehmen auf den Wandel der Arbeitswelt ein. Immer mehr richten ihre Geschäftsmodelle an den Bedürfnissen der Beschäftigten aus – und das sind nicht nur Frauen. Gefragt sind:
Die Arbeitswelt wird immer vielfältiger. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Stellenanzeigen und auf den Karriereseiten der Branche wider.
Die Branche will für Frauen attraktiver werden. Frauen profitieren von immer mehr Mentoring-Programmen und Netzwerken. Gerade in den letzten Jahren sind einige dazugekommen. Neben branchenübergreifenden Förderprogrammen wie „MentorMe“ unterstützen sich Frauen gegenseitig auf ihren Karrierewegen. Der Damen Logistik Club aus Wien initiierte das „Women Logistics Mentoring“, das bereits in der zweiten Runde ist. Auch größere Arbeitgeber, wie die Deutsche Bahn starten Initiativen und unterstützen ihre weiblichen Nachwuchskräfte im Hinblick auf Führung. So sind im Netzwerk „Frauen bei der Bahn“ über 4.200 DB Mitarbeiterinnen organisiert, die Erfahrungen teilen, sich austauschen und gegenseitig unterstützen.
Für mehr Sichtbarkeit in den Führungsetagen der Unternehmen und auf den Bühnen der Logistikbranche organisieren sich mehr und mehr Frauen in klassischen Netzwerken.
Die Netzwerke setzen sich für Themen wie Vielfalt und Gleichberechtigung in Teams, Führungsebenen und Forschung ein. Sie erweitern Sichtweisen auf Themen. Und vor allem ermöglichen sie es Frauen wie auch Männern in der Branche, sich zu treffen, zu vernetzen und einander zu helfen.
Die Logistik wächst und mit ihr die Aufgaben. Im März 2024 belegte der Bereich Logistik und Verkehr mit 57.000 Angeboten den ersten Platz der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten offenen Stellen. Darüber hinaus entwickeln sich in den Transport- und Logistikunternehmen sowie in den Fachabteilungen von Handel und Industrie ständig neue spannende Aufgabenfelder. Die Branche braucht daher qualifizierte Fach- und Führungskräfte, nicht nur in kaufmännischen und gewerblichen Positionen entlang der Logistikketten, sondern auch als IT-Profis und als Repräsentanten in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik.
Sowohl für Fachkräfte als auch für Absolventen stellt die transport logistic eine hervorragende Gelegenheit dar, um Unternehmen als potenzielle neue Arbeitgeber kennenzulernen sowie Berufsbilder, Karrierewege und neue Chancen zu entdecken.
Frauen aktiv und langfristig fördern, auch wenn sie häufiger familienbedingt Pausen einlegen. Beruflichen Aufstieg ermöglichen und Männer wie Frauen für ein diverses Arbeitsumfeld begeistern. Das sind die Aufgaben der Logistikunternehmen. Dazu müssen die Unternehmen zeigen, wie vielfältig ihre Belegschaft und wie attraktiv sie als Arbeitgeber sind. Umdenken ist eine Aufgabe, denn die Unternehmenskultur ändert sich nicht von allein. Und es lohnt sich. Die Beschäftigung von qualifizierten Frauen ist kein Problem, sondern eine Chance.