Chancen für die Logistik: Mit der Neuen Seidenstraße will China Infrastruktur und Aufträge schaffen. Wie ist der aktuelle Stand des globalen Megaprojekts und was sagen europäische Logistiker dazu?
Mit dem Projekt Neue Seidenstraße, auch Belt and Road Initiative (BRI) genannt, haucht China alten Handelsrouten neues Leben ein. Der Gütertransport auf Straße, Schiene und Wasser zwischen Asien, Afrika und Europa soll einfacher und sicherer werden. Daraus ergeben sich wirtschaftliche Chancen, insbesondere für die Logistik- und Transportbranche. Doch die erste Euphorie ist verflogen. Wie kann die Logistik dennoch profitieren?
Die geopolitischen Entwicklungen, allen voran der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, haben in den letzten Jahren vieles verändert. Trotz der aktuellen Rahmenbedingungen werden in Zukunft eher mehr als weniger Güter die ursprünglich von China initiierten Transportwege passieren. Seit 2019 hat sich die Zahl der Züge laut Statista von 8225 auf 17.000 mehr als verdoppelt. Neben der Eisernen Seidenstraße im Rahmen der BRI tragen nun auch die Investitionen im Rahmen der EU-Asien-Verbindungsstrategie und entlang des Verkehrskorridors Europa-Kaukasus-Asien (TRACECA) dazu bei.
Die BRI feiert einen runden Geburtstag. Seit zehn Jahren treibt China das Projekt voran. 149 Länder, rund 70 Prozent aller Staaten der Erde, bekennen sich zu der Initiative, die mit unzähligen politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Kooperationen weit mehr als ein Infrastrukturprojekt ist. Mit der richtigen Strategie können Logistiker auch in Zukunft von der Idee „One Belt, One Road“ – kurz OBOR – profitieren. Mit der neuen Seidenstraße will China den wachsenden Güterverkehr auch nach zehn Jahren noch attraktiver machen.
Zum Vorhaben gehören:
„Im ersten Halbjahr 2023 exportierte China erstmals mehr in die BRI-Länder als in die USA, Japan und die EU zusammen“, stellt Andreas Breinbauer, Rektor und Leiter der Studiengänge Logistik und Transportmanagement an der Fachhochschule des BFI Wien fest. „Noch schneller ist der zukunftsträchtige E-Commerce—Handel mit den BRI-Ländern gewachsen. Von 2019 auf 2021 auf das Elffache und ein Gesamtvolumen von 228 Milliarden US-Dollar.“
Logistikunternehmen reagieren, um ihre Chancen zu nutzen. So hat zum Beispiel Logistikdienstleister Rhenus sein internationales Netzwerk ausgebaut. Immer mehr Verkehre entlang der neuen Seidenstraße verbinden Europa mit China, den GUS-Staaten und Russland von Tür zu Tür. „Für die kommenden Jahre erwarten wir einen steigenden Transportbedarf für containerisierte Waren und Güter, die wir entlang des Mittleren Korridors der klassischen Seidenstraße mit den Transportnetzen Europas verbinden“, erklärt Tobias Bartz, Vorstandsvorsitzender der Rhenus Gruppe, in einer Pressemeldung zum Ausbau eines Terminals in Usbekistan. Das Unternehmen ist nicht nur in diesem Land, sondern auch in den Nachbarstaaten Kasachstan, im südlichen Kaukasus sowie der Asien-Pazifik Region mit eigenen Gesellschaften aktiv.
Die Neue Seidenstraße bietet Potenzial, doch sie macht es den Logistikern nicht leicht. „Mehr denn je stellt sie die Unternehmen vor große Herausforderungen. Schon allein wegen der geografischen, kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede. Als Weltleitmesse wird die transport logistic in München zur Plattform, auf der sich viele Beteiligte auf kurzen Wegen vernetzen und austauschen können“, erklärt Stefan Rummel, Geschäftsführer der Messe München. Unternehmen können in München geeignete Geschäftskontakte in China und auf Drittmärkten knüpfen.
Logistikaufträge aus dem Projekt der Neuen Seidenstraße an Land zu ziehen ist gerade für ausländische Firmen immer noch schwer. Chinas beschriebenen Zielen der Neuen Seidenstraße zufolge, sollen durch den Bau zwar die finanzielle Integrität und der Zusammenhalt gesteigert werden, gleichzeitig will China seinen politischen Einfluss stärken und neue Absatzmärkte erschließen. Die Euphorie rund um den Ausbau der Seidenstraße hat deutlich nachgelassen.
In der „Wirtschaft und Management“ untermauert Seidenstraßen-Experte Breinbauer im Mai 2024 diesen Eindruck: „Die von offizieller Seite immer wieder eingebrachte Win-Win-Situation sei nicht eingetreten. Vielmehr werden mit chinesischem Geld chinesische Vorhaben und hier allen voran chinesische Staatsunternehmen unterstützt. Und tatsächlich profitieren von den Investitionen vor allem, aber nicht nur chinesische Unternehmen.“
Für den Zugang zum indischen Ozean via Pakistan hat China in den Korridor CPEC (China-Pakistan-Economic-Corridor) investiert. Über 2.000 Kilometer Straße und Schiene führen von Xinjiang im chinesischen Westen nach Belutschistan. Die letzten zehn Jahre fasst Ali Murad, Leiter des Department of Political Science der University of Malakand, Pakistan beim German Institute of Development and Sustainability (IDOS) zusammen: “Insgesamt 26 Vorhaben mit einem Investitionsvolumen von 17 Milliarden USD sind bereits abgeschlossen. Aktuell laufen 30 Projekte im Wert von 8,5 Milliarden USD, weitere 36 Projekte im Wert von 28,4 Milliarden USD sind geplant. Bislang wurden mit CPEC-Projekten in Pakistan direkt oder indirekt 200 000 Arbeitsplätze geschaffen, mehr als 6 000 MW zusätzlich in das nationale Netz eingespeist, etwa 809 km Straßeninfrastruktur errichtet und 886 km Stromtrassen installiert.“
Lange Zeit, von 2013-2018 konnte Europa die meisten Foreign Direct Investments und Baukontrakte auf sich ziehen, blickt Breinbauer auf zehn Jahre Neue Seidenstraßeninitiative zurück. Nach seinen Recherchen macht der Transportsektor weltweit rund 16 Prozent aus. Insgesamt liegt der Investitionsschwerpunkt heute auf anderen Kontinenten.
Nach Recherchen von Breinbauer weist rund jedes zweite der rund 150 Länder, die an der BRI beteiligt sind, Einkommen im niedrigen oder sehr niedrigen Bereich aus. Um diese Länder wirtschaftlich voranzutreiben, muss zunächst eine funktionierende Infrastruktur geschaffen werden. Dabei gibt es einen hohen Investitionsbedarf zwischen China und Europa, der ohne chinesische Unterstützung nicht gedeckt werden kann.
In Europa bekennen sich Ende 2023 27 von 47 Staaten zur BRI, davon 17 EU-Mitglieder. Auch wenn China mit dem Projekt Seidenstraße eigene Interessen verfolgt, ergeben sich für sie und ihre Logistik Vorteile:
In den letzten zehn Jahren hat China rund 900 Milliarden Dollar im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative investiert. Matthias Kamp, Redakteur der Neuen Züricher Zeitung, zieht in einem Artikel zum 10-jährigen Jubiläum der Seidenstraße im Oktober 20123 ein Fazit: „Nach anfänglichen Fehlschlägen mit teilweise gigantischen und wirtschaftlich nicht tragfähigen Infrastrukturprojekten, die die Staatsverschuldung in vielen Ländern explodieren liessen, hatten manche westliche Beobachter die BRI bereits abgeschrieben. Doch Pekings neue Seidenstrasse ist nicht tot, sie hat lediglich ihre Gestalt geändert.“